Nell-Breunig-Haus : Hubert Perschkes bewegende Fotos aus Kohledörfern in Roda ausgestellt
Erkelenz/Herzogenrath Die Ausstellung „Alte Heimat – Neue Zukunft“ des Fotografen Hubert Perschke gastiert im Nell-Breunig-Haus in Herzogenrath. Die Werke erzählen von den Orten, die nicht abgebaggert werden.
„Fünf Erkelenzer Dörfer bleiben!“ In diesen sachlichen Worten stecken viel Irritation, Erleichterung und Kummer gleichzeitig. Nach all den Jahren, in denen Keyenberg, Kuckum, Berverath sowie Ober- und Unterwestrich das Aus drohte, man das Inventar von Kirchen bereits weitergegeben und die Türen sogar denen verschlossen hat, die noch Abschied nehmen wollten, rettet der Kohleausstieg 2030 diese Orte vor dem Braunkohlebagger. Sie sollten im Zuge des Tagebaus „Garzweiler 2“ verschwinden. „Alte Heimat – Neue Zukunft“ nennt Manfred Körber, Leiter des Nell-Breunig-Hauses in Herzogenrath, eine spannende Ausstellung, deren Idee er zusammen mit Jens Sannig, Superintendent des Kirchenkreises Jülich, hatte – und damit den sozial engagierten Fotografen Hubert Perschke überzeugte.
Bis zum 27. Oktober sind nun über 30 einfühlsame und zugleich dokumentarische Fotoarbeiten Perschkes ausgestellt, der mit jedem so typischen Bild mindestens eine Geschichte, ein Schicksal erzählt. Die stellvertretende Bürgermeisterin Marie-Theres Sobczyk kennt die Ausstellung schon und findet sie „großartig und wichtig“.
Es sind intensive Texte entstanden, die er mit Menschen aus den drei Ortschaften erarbeitet hat, und die so den „Originalton“ der Betroffenen tragen. „Ich habe früher intensiv die Proteste und die Phasen der Entwicklung begleitet“, sagt Perschke. „Der Perspektivwechsel war für mich sehr berührend und zugleich eine Herausforderung.“
So führt dieser ihn mit Auftrag der Initiatoren erneut in die Ortschaften, in denen bereits vieler Häuser verlassen sind. 2022 lebten immerhin noch 454 von ehemals 1566 Bewohnern hier. Bei seinen Wanderungen durch die stillen Straßen trifft er auf jene, die jetzt entscheiden müssen, was sie tun – wirklich dort bleiben, wo man sich bereits von Freunden und Nachbarn verabschiedet hat, alte Traditionen nicht mehr leben kann? Maibaum? Schützen? Überhaupt Vereinsleben? Wie soll das gehen? Nun spricht man von Alt-Dörfern die etwa die Glocken ihrer Kirchen an die Neu-Dörfer abgeben mussten.
„Die Bindung an die Kirchengemeinde ist vielfach verloren, das schmerzt“, weiß Perschke aus langen Gesprächen. Dennoch wollen inzwischen viele bleiben – Perschke hat sie gefragt, warum, und stellt mit den berührenden Fotos, die sie in ihrer persönlichsten Umgebung zeigen, diverse Gründe vor. Texte, die man lesen sollte, wenn man durch den Flur des Nell-Breuning-Hauses wandert. Gleichzeitig greift er Fragen der Struktur auf – wie geht es mit der einst so blühenden Landwirtschaft weiter? Er zeigt auch auf, was Weigerungen gegenüber der RWE in der Vergangenheit für Folgen hatten, etwa Enteignungsverfahren. Oder wie das Finanzamt reagiert, wenn eine Entschädigungssumme gezahlt wird. Das sind bittere Tatsachen, die so rasch nicht vergessen werden.
Die persönlichen Geschichten sind hier wichtig: Yvonne Kremers etwa, die als Stadtmensch aufs Land wollte, schon im Alter von 16 Jahren. Sie hat den Schritt 2022 gewagt – gegen die örtliche Situation, aber mit der Hoffnung, auch umgesiedelt einen Reiterhof aufbauen zu können. Für Dirk Kosten, der 1970 in Keyenberg einen sehr alten Vierkanthof erworben hat, sind es nicht nur Erinnerungen an eine mühsame und glücklich verlaufene Kernsanierung – er ist stolz auf die Anlage, die nicht selten Architekturstudenten besichtigen.
Oder Marita Dresen, die Perschke mit ihren Hühnern fotografiert hat, und die im Interview erzählt, wie schmerzlich es für sie wäre, die Tiere aufzugeben und die Erinnerung an eine goldene Kindheit mit Opa und Oma zu begraben. „An das Loch, den Braunkohletagebau, denke ich nur mit Schrecken“, sagt sie. Da sind Miriam Pawlak und Daniel Zander, die als Opfer der Flutkatastrophe Eschweiler verlassen mussten und ein neues Zuhause fanden, noch immer traumatisiert vom Wasser sind und nun mit der Sorge leben mussten, das neue Heim wieder zu verlieren. Oder Brigitte Kox: „Unser Haus steht auf einem Keller aus dem Jahr 1453!“ Bereits 1986 hat sie ihr Vater zu einer Fackelkette gegen die Ausweitung des Tagebaus mitgenommen.
Viele Geschichten, etwa von der tapferen Bäckerei Laumanns, die mobil ihre Kunden weiterhin versorgt hat. Eine wichtige Botschaft trägt Barbara Oberherr zu all diesen Menschen: „Wir haben so viel mit alternativen Energien erlebt“, sagt die Bewohnerin von Keyenberg. „Lasst uns doch nun Vorzeige-Dörfer in dieser Region werden.“