Konzert im Alten Schlachthof Eupen : Wenn Sanaz singt, denkt sie an die Frauen im Iran
Interview Aachen Sanaz singt die aserbaidschanischen und persischen Lieder ihrer Kindheit. Und sie geht so auf Spurensuche. Jetzt stellt die in Kelmis lebende Sängerin im Alten Schlachthof in Eupen ihre Musik vor.
Die Geschichte von Sanaz Zaresani ist bewegend. Die Lyrikerin und Sängerin hat mit ihrer aserbaidschanischen Familie im Iran gelebt. Sanaz, so heißt sie, wenn sie auftritt, ist 2008 aus dem Iran geflohen. Ihre Motive sind die, die auch aktuell die Menschen zu gewaltigen Protesten bewegen: die Verletzung elementarer Menschenrechte, vor allem die Unterdrückung der Frauen in einem autoritären Regime. Heute lebt Sanaz mit dem Akkordeonisten und Musikproduzenten Manfred Leuchter in Kelmis. Sie war jahrelang in Deutschland, ist inzwischen deutsche Staatsbürgerin und begibt sich mit ihrer Musik auf die Reise in die Vergangenheit und in die Zukunft. Mit ihr sprach unser Redakteur Bernd Büttgens.
Sanaz, worauf dürfen sich die Gäste, die Sie am 27. November bei der Matinée im Alten Schlachthof in Eupen erwarten, freuen?
Sanaz: Es wird an diesem Morgen – und somit auf der neuen CD – aserbaidschanische und persische Lieder zu hören geben. Es ist ein Brückenschlag zwischen meiner Heimat, in der ich aufgewachsen bin, und meiner heutigen Heimat, in Deutschland, wo ich zehn Jahre war, und in Ostbelgien, wo ich inzwischen lebe. Ich habe diesen Weg der Auseinandersetzung mit mir selbst vor Jahren begonnen. Um zu verstehen, wer ich heute bin, musste ich mich selbst kennenlernen.
Somit setzt die CD einen Meilenstein in Ihrer persönlichen und künstlerischen Entwicklung?
Sanaz: Ja, so kann man das beschreiben. Ich kenne jetzt meine Wurzeln, das ist für mich wichtig, um in der für mich neuen Gesellschaft Fuß zu fassen.
Ihre Reise ist lang. Es ist eine Fluchtgeschichte, die aus dem Iran über die Türkei nach Deutschland führt. Wie hat diese Reise Ihr Leben und Ihre künstlerische Arbeit, die ja eigentlich als Lyrikerin im Iran begann, beeinflusst?
Sanaz: Ich bin in einer aserbaidschanischen Familie im Iran geboren. Das, was ich zu Hause erlebt habe, die Sprache, die Musik, die Klänge, unterschied sich gravierend von dem normalen iranischen Leben. Ich habe mich als Kind verloren gefühlt. Es gab das Gefühl, nirgendwo hinzugehören. Deshalb habe ich versucht, mich der persischen Kultur, der persischen Sprache anzunähern. Meine Gedichte habe ich in Farsi geschrieben. Aber dann stieß ich mit meiner Freiheitsliebe im Iran schnell an die Grenze. Für Frauen war es dort immer schon schwierig, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wir erleben das ja gerade wieder, transportiert durch die schweren Auseinandersetzungen und Proteste. Ich bin 2008 geflohen, habe das Land verlassen. Heute geht es mir gut, aber ich habe auf allen Stationen, in der Türkei, seit Oktober 2009 in Deutschland, jetzt seit drei Jahren in Belgien gespürt, dass ich dieses Fremdsein in mir trage. Dass ich meine Wurzeln nicht spüre. Deshalb dieses Projekt.
Die Fluchtgeschichte ist abenteuerlich, belastend, sie hat nichts mit dem Reisen zu tun, wie wir es kennen. Haben Sie jetzt das Gefühl, angekommen zu sein?
Sanaz: Ich versuche in jeder Zeit, mein Universum zu erweitern. Und es ist immer so: Wenn ich irgendwo neu ankomme, starte ich mit diesem Gefühl des Fremdseins. Mittlerweile kann ich damit umgehen. Absolut angekommen bin ich nie, das stimmt. Aber das will und brauche ich nicht.
Was bedeutet die Musik für Sie? Sie sind Journalistin, Lyrikerin, wir erleben Sie jetzt aber vor allem als Sängerin.
Sanaz: Ich bin davon überzeugt, dass jeder seine eigene Musik in sich trägt. Und das kann sehr unterschiedlich klingen. Die Musik ist von daher ein Werkzeug, das wir zur Kommunikation nutzen können. Wir müssen uns darauf einlassen. Es macht viel Sinn, die Musik der anderen zu hören – das schafft viel Verständnis füreinander. Wenn man nur die Sprache als Ausdrucksmittel hat, ist das mitunter deutlich schwerer. Die Worte aber zu haben und sie mithilfe der Musik zu präsentieren, ist der perfekte Weg. Heute ist die Musik meine wahre Leidenschaft, ich schreibe gerne, ich singe aber umso lieber.
Wenn Sie Ihre CD „Ancient“ präsentieren, klingt das für viele fremd. Was müssen wir zu diesen Liedern wissen?
Sanaz: Das sind Lieder meiner Kindheit, sie sind in Aserbaidschan und im Iran sehr bekannt. Ich habe sie von meiner Mutter, von meiner Großmutter gehört. Es ging mir um den reinen und unschuldigen Charakter dieser Lieder, wir haben ihn erhalten. Aber durch die Kunst und Könnerschaft der Musiker, denen ich nun hier begegnet bin, haben die Lieder einen eigenen neuen Charakter gewonnen. Das Original klingt deutlich durch, aber eine Annäherung an die westliche, an die europäische Musik ist deutlich hörbar. Und von daher freue ich mich jetzt sehr auf die Matinée in Eupen.
Was bedeutet die Bühne für Sie, die Begegnung mit dem Publikum?
Sanaz: Das ist sehr wichtig für mich. Und ich werde garantiert die Gelegenheit nutzen, bei dem Konzert über die aktuelle iranische Lage, vor allem die der Frauen, die enorme Einschränkungen erleiden, zu sprechen. Was ich in Eupen machen werde, nämlich als Frau auf einer Bühne zu singen, ist den Frauen im Iran bei Strafe verboten. Ich werde an diesem Morgen für die Frauen singen, um ihnen Kraft zu geben. Jede Bühne, auf der ich auftrete, ist wie mein eigenes Land, in dem ich singen und sprechen darf.